Cannes Lions ist eins der größten Events im Kalender der Kommunikationsbranche. Dieses Jahr hatte ich die Ehre, in der Jury der Cannes Lions Awards zu sitzen. Meine Co-Juroren und Jurorinnen waren Senior PR-Experten aus Singapur, Brasilien, dem Vereinigten Königreich, Deutschland, Schweden, Australien und den Vereinigten Staaten. Hier haben sich Menschen mit unterschiedlichen religiösen, politischen und ethnischen Hintergründen versammelt, um gemeinsam Hunderte von Kampagnen zu bewerten. Die Award-Beiträge mit einer so erfahrenen und vielfältigen Gruppe von Teilnehmern aus der ganzen Welt zu diskutieren, war eine wirklich einzigartige Erfahrung.
Wir haben mehr als 350 Kampagnen bewertet; einige haben uns zum Lachen und andere zum Weinen gebracht, wieder andere haben zu intensiven internen Diskussionen geführt. Einige Male habe ich mir Kampagnen aus einer bestimmten Perspektive angesehen und mein Urteil gefällt, um dann nach einer Debatte meine Meinung vollkommen zu ändern. Bedeutet das jetzt, dass ich keine eigene Meinung habe? Nein, es bedeutet, dass man durch neu gewonnene Informationen und Sichtweisen seine Meinung um 180 Grad ändern kann. Das ist die Macht der Kommunikation.
Ich kann voller Überzeugung sagen, dass ich seit langer Zeit nicht so viel gelernt habe wie während meiner dreitägigen Jurorinnen-Tätigkeit bei den Cannes Lions. Hier sind ein paar meiner Learnings:
1) PR kann eine starke Waffe sein: Auf der Welt gibt es immer noch sehr viele Ungerechtigkeiten. Diese bewegen viele Menschen aus der Kommunikationsbranche, sich zu erheben und Themen mit der Absicht anzusprechen, etwas zu bewegen. Ob Pressefreiheit, Umweltverschmutzung, Kinderehen oder Frauenrechte – all diesen Themen kann durch Aufmerksamkeit und die richtige Platzierung in den (sozialen) Medien, Gehör verschafft werden. Hier haben wir als PR-Experten die Macht, Veränderungen tatsächlich voranzutreiben. Ich persönlich war sehr beeindruckt von der Kreativität aus dem Nahen Osten, insbesondere aus dem Libanon. Medien wie die libanesische Zeitung An-Nahar versuchen, das Bewusstsein für große Ungerechtigkeiten im eigenen Land zu schärfen und damit ihre Welt zum Besseren zu verändern.
2) PR im Zentrum des Geschehens: In der Jury gab es etliche Diskussionen darüber, welche Kampagnen eher der PR oder der Werbung angehörten. Es ist mittlerweile gängig, dass diese ursprünglich getrennten Welten aufeinandertreffen und verschmelzen. Nahezu jede Kampagne hat sowohl PR- als auch Werbeelemente. Wir haben jedoch festgestellt, dass die PR im Mittelpunkt einer Kampagne stehen muss, um die Aufmerksamkeit der Medien zu erregen. Die Kampagnenidee muss nachrichtenwürdig sein. Sie muss relevant sowie zeitgemäß sein und ein aktuelles Thema behandeln, um es auf die Medienagenda zu schaffen. Kein Geld der Welt ist in der Lage, ein Thema auf dem Radar von Journalisten zu platzieren, wenn sein Kern diese Eigenschaften nicht berücksichtigt. PR darf kein Appendix sein. Sie muss von Anfang an in das Konzept und die Idee der Kampagne integriert werden, um maximale Präsenz zu erzielen.
3) Internationale PR: Ich wusste es bereits, aber Cannes Lions hat meine Augen noch einmal mehr geöffnet: Wir sind alle zu einem gewissen Grad engstirnig und leben in unseren Blasen. Wir gehen davon aus, dass unsere alltäglichen Erfahrungen die Norm sind. Dabei hat jedes Land und jede Kultur einen ganz anderen Hintergrund wie auch eine andere Perspektive. Was in einem Land ein Riesenthema ist, ist in einem anderen total irrelevant. Eine internationale Kampagne kann also nur erfolgreich sein, wenn die Botschaft präzise angepasst und lokalisiert wird. In manchen Märkten müssen Sie sich möglicherweise überhaupt nicht darum bemühen, dass Ihre Botschaft ankommt. Sie sollten sich immer von lokalen Experten beraten lassen und die lokale Relevanz ermitteln, bevor Sie sich auf neues Terrain bewegen.
4) Originalität: Wir haben viele Ideen schon einmal auf die eine oder andere Art und Weise gesehen. Ist das schlecht? Gibt es echte originelle Kreativität überhaupt? Ich denke, als PR-Profis wissen wir, was eine Agenda prägt. Taktiken werden zwangsläufig wiederholt, wenn wir wissen, dass sie Aufmerksamkeit erzeugen. Auch das ist nicht automatisch schlecht. Wenn eine Idee aus einem neuen Blickwinkel betrachtet und kreativ und ausführlich ausgearbeitet wird, kann auch aus einem bekannten Ansatz eine tolle Kampagne entstehen.
5) Visuals: Die hohe Aussagekraft eines Bildes ist längst bekannt, dennoch wird sie in der PR manchmal noch als Zusatz betrachtet. Alle starken Kampagnen, die ich gesehen habe, hatten eine äußerst starke visuelle Komponente – sei es das Logo, ein Icon, ein aussagekräftiges Foto oder ein tolles Video. Die PR-Branche muss dem offener begegnen, wenn sie den Zeitgeist nicht verschlafen möchte. Wir benötigen ausgezeichnete Fotografie, starkes Grafikdesign und Video, um Kampagnen wirklich zum Leben zu erwecken. Hierbei können wir viel von der Werbebranche lernen.
Ich bin stolz darauf, dass in unserer Branche so viel großartige Arbeit geleistet wird. Unsere Branche befindet sich im Wandel, aber es ist ermutigend zu sehen, wie weit wir gekommen sind. Kampagnen werden immer integrierter und große Kreativität, Kommunikation, Messaging und PR verschmelzen miteinander. Die verschiedenen Disziplinen arbeiten heute stärker zusammen als je zuvor. Das bietet uns allen wertvolle Möglichkeiten zu lernen, uns weiterzuentwickeln und immer besser zu werden.