90 Prozent aller Informationen der Menschheitsgeschichte wurde in den letzten beiden Jahren produziert. Die pure Masse an Eindrücken, die täglich auf uns einprasselt, macht das effiziente Verarbeiten von Informationen immer wichtiger. Wie kann ich einen Konsumenten erreichen, der mehreren tausend Werbebotschaften am Tag ausgesetzt ist?
Das Zauberwort in der Unternehmenskommunikation lautet: „Relevanz“. Es muss heute gelingen, Botschaften zu liefern, die die Zielgruppe nicht nur erreichen, sondern auch interessieren. Hier kommen die digitalen Kanäle ins Spiel, in denen Unternehmen heute nach dem Motto „smarter statt lauter“ agieren sollten. Vorteil: Botschaften, die überzeugen, führen zu Interaktion und werden geteilt, geliked oder kommentiert.
Wir alle nutzen täglich Techniken des Storytelling. Das Erzählen von Geschichten gehört zu den ältesten und wichtigsten Kulturtechniken der Menschheit. Kein Wunder, dass wir für eine gute Geschichte immer offen sind. Storytelling funktioniert, da das episodische Gedächtnis des Menschen Geschichten deutlich zuverlässiger speichern kann als reine Fakten. Mir ist heute erst die Kaffeetasse umgefallen, ich stand im Stau, und ein lange vorbereitetes Meeting wurde abgesagt? Für sich genommen alles nicht sehr interessant. Erst der narrative Rahmen („Heute ist echt nicht mein Tag“) macht die Ereignisse greifbar. Eine Liste von Ereignissen ist zufällig und chaotisch – eine kurze Erzählung über meine Erlebnisse hingegen ist einprägsam und authentisch. Geschichten erzählen ist wie angedeutet eine uralte Technik – und wird doch durch aktuelle Entwicklungen immer relevanter.
Der Einsatz von Storytelling-Techniken für Unternehmen basiert auf zwei Grundpfeilern – der Rolle des Unternehmens sowie dem Plot der Geschichte.
Es gibt drei grundsätzliche Rollen, die ein Unternehmen bzw. eine Marke in einer Geschichte spielen kann, und sieben archetypische Plots.
Viele Unternehmen wünschen sich natürlich, mit ihrer Marke der Held ihrer eigenen Geschichte zu sein. Das ist möglich – jedoch bei Weitem die unwahrscheinlichste Konstellation. Woran liegt das? Produkte und Dienstleistungen mögen wichtig für Menschen sein, doch sind sie meist nicht originär emotional aufgeladen. Erst die Geschichte einer Levi´s 501 macht diese Hose in den Köpfen der Konsumenten zu etwas Besonderem. Und das wird sie nicht aus sich heraus, sondern weil besondere Menschen sie erdenken, tragen, erhöhen. Träger von Geschichten ist fast immer der Mensch – weshalb eine Marke auch meist nur dann Held einer Geschichte sein kann, wenn sie sehr eng mit einem Menschen verbunden ist.
Deutlich pragmatischer sind die beiden anderen Alternativen. Marken können jederzeit bestimmte bedeutsame Entwicklungen in der Welt kommentieren („Wir finden, es braucht mehr von den kleinen Momenten im Leben.“) oder Menschen helfen, etwas Bestimmtes zu erreichen.
Stellen Sie sich die Frage, wie Ihre Marke in der Geschichte, die Sie erzählen wollen, eine bedeutsame Rolle übernehmen kann. Eine bedeutsame Rolle, die einen Mehrwert liefert und glaubwürdig zu den Werten Ihres Unternehmens passt.
Neben der Rolle Ihres Unternehmens sollten Sie sich natürlich auch die Frage stellen, was für eine Art von Geschichte Sie erzählen wollen. Einen guten Überblick liefern die „Seven Basic Plots“ von Christopher Booker, die wir hier einmal kurz zusammenfassen und auf die Kommunikation übertragen:
Die Geschichte, in der sich ein Unternehmen positioniert, muss dabei nicht immer komplett neu geschrieben werden. Auch übergreifende oder bekannt Zusammenhänge können einen narrativen Rahmen bilden, in dem eine Marke aktiv wird. Beispiele für einen solche Rahmen wären:
Denken Sie einmal kurz nach – sicher fällt es Ihnen nicht schwer, auf einige Markengeschichten zu kommen, die genau solche Rahmen verwenden, oder?
Machen Sie sich klar, dass Sie Storytelling nicht zum Selbstzweck einsetzen wollen, sondern um bestimmte Ziele zu erreichen. Geschichten funktionieren anders als Fakten und sollten auch anders aufbereitet werden.
Hirnforscher Manfred Spitzer hat dies folgendermaßen zusammengefasst:
„Was den Menschen umtreibt, sind nicht Fakten und Daten, sondern Gefühle, Geschichten und vor allem andere Menschen.”
Machen Sie sich klar, dass Ihre Zielgruppe nicht darauf wartet, eine gute Geschichte von Ihrem Unternehmen erzählt zu bekommen – sondern dass Sie sich überhaupt nur dann interessiert, wenn Sie eine gute Geschichte zu erzählen haben. Storytelling bedeutet eine Grundhalten der Bescheidenheit in der Kommunikation, die sich primär an Relevanz und Glaubwürdigkeit orientiert und nur sekundär an den Kernbotschaften Ihrer Marketingstrategie.
Download: Content Marketing und Storytelling
Nicht alles, was ein Unternehmen erzählen will, interessiert die Zielgruppe. Und nicht alles, was die Zielgruppe interessiert, will das Unternehmen erzählen. Der Erfolg im Storytelling liegt da, wo Marken- und Kundeninteressen glaubhaft zusammenkommen:
Nehmen wir an, Sie verantworten das Marketing eines Automobilherstellers und haben die Aufgabe, eine jüngere Zielgruppe anzusprechen. Während Ihre bisherigen Käufer sich noch von Design und beeindruckenden Produkteigenschaften überzeugen ließen, sind Ihre neuen Käufer nicht für diese Botschaften offen. Welche Art von Geschichte müssen Sie erzählen?
Es gibt unterschiedliche Auffassungen darüber, wie groß dieser Sweet Spot ist. Während große Marken wie Saturn, O2 oder Coca-Cola ihn sehr breit definieren (was natürlich auch an einer sehr großen Zielgruppe liegt), müssen kleinere Unternehmen mit definierterem Publikum hier mit weniger Streuverlust vorgehen.
Immer sollte aber gelten: Eine Geschichte kann nur dann relevant sein, wenn die Marke eine glaubhafte Rolle darin spielen kann.
Wie aber wird jetzt eine Erzählung in der Kommunikation digital? Indem sie über digitale Kanäle erzählt und ausgebaut wird. Und indem die spezifischen Eigenschaften der unterschiedlichen digitalen Kanäle in den Prozess des Geschichtenerzählens integriert werden.
Nehmen wir an, Sie planen eine Heldenreise über einen Nutzer der Produkte ihres Unternehmens. Ihr Testimonial hatte ein Ziel, es galt einige größere und kleinere Hindernisse zu überwinden, und Ihre Marke spielte eine mehr oder weniger große Rolle dabei. Wenn es sich um eine persönliche, emotionale Geschichte handelt, werden sie vermutlich recht schnell dabei landen, diese in Form eines Videos zu erzählen. Damit endet das digitale Storytelling jedoch nicht – im Idealfall arrangieren Sie unterschiedliche Kanäle rund um hr eigentliches Kommunikationsprodukt:
Sie sehen leicht, dass die Möglichkeiten hier sehr groß und gleichzeitig sehr individuell sind. Es gibt keinen universellen Standardplan, der sich auf jedes Projekt umlegen lässt. Insbesondere auch deshalb nicht, weil Storytelling als Instrument sehr unterschiedliche Kommunikationsziele verfolgen kann. Dennoch gibt es einige Faustregeln, die Ihnen hoffentlich beim nächsten Digital-Storytelling-Projekt weiterhelfen werden:
Bei all diesen Kommunikationsmaßnahmen ist es wichtig, digitale Medien nicht allein als Multiplikatoren für eine Geschichte zu sehen. Natürlich ist es schön, eine spannende Geschichte über einen gut entwickelten Facebook-Kanal zu verbreiten. Im Normalfall werden die Empfänger jedoch nicht passiv bleiben, sondern Fragen stellen, kommentieren oder die Inhalte weiterverbreiten. Daher ist es zum Einen erforderlich, Ressourcen für das Community-Management bei der Verbreitung der Inhalte einzuplanen – doch digital gedachtes Storytelling geht darüber hinaus. Unternehmen finden sich immer wieder in der Situation, unerwarteten Reaktionen und Perspektiven auf ihre Geschichten ausgesetzt zu sein. Je größer das Unternehmen, um so eher werden nette Feelgood-Geschichten aus der PR-Abteilung nicht einfach akzeptiert – egal wie gut diese handwerklich gemacht sind. Unternehmen, die es mit dem digitalen Storytelling ernst meinen, müssen daher lernen, mit solchen konflikthaften Reaktionen zu leben, diese zu respektieren, im Idealfall zu antizipieren und proaktiv damit umzugehen.