Drei Beispiele aus der aktuellen Debatte: Der Foto-Sharing Dienst Snapchat beschäftigt Medienschaffende und Netzexperten zusehends. Die App mit dem kleinen Geist galt zunächst als Austauschplattform für eher riskantes, privates Bildmaterial unter Teenagern – schließlich löschen sich private Einträge nach zehn Sekunden wieder, öffentliche bleiben immerhin 24 Stunden lang erhalten. Nach wie vor ist der Zulauf gerade in der jüngeren Zielgruppe hoch, und immer mehr Medien, Verlagshäuser und Unternehmen fragen sich, was mit dem Phänomen anzufangen ist. Vorreiter wie Richard Gutjahr probieren schon eifrig. Wo das eine Netzwerk gerade Aufmerksamkeit gewinnt, scheint ein anderes seriös zu werden: Auf der DLD Konferenz in München hat WhatsApp Mitgründer Jan Koum gerade erst verlauten lassen, dass sich die Plattform für Unternehmen öffnen wird. Mit einer Nutzerzahl, die stetig auf die Milliarde zusteuert, elektrisiert die News Kommunikationsprofis weltweit und auch hier steht die Frage im Raum: Was tun mit den neuen Möglichkeiten?
Dabei ist die Zukunft von WhatsApp als eigenständigem Kanal keinesfalls zementiert, niemand weiß so recht wie die weitere Integration in Facebook konkret aussehen wird. Das führt zum dritten Beispiel: Wie gerade bekannt wird, erlebt Twitter gerade einen regelrechten Aderlass im Top-Management. Und schon werden wieder Stimmen laut, die Twitters Zukunft in düsteren Farben schildern, auf geringe Mitgliederzahlen und wackelige Geschäftsmodelle verweisen und damit all jene verunsichern, die den Kurznachrichtendienst inzwischen für eine Institution im Netz und Säule ihrer Kommunikationsstrategie sehen.
Verpassen wir etwas, wenn wir jetzt nicht sofort auf Snapchat sind?
Bei vielen Unternehmen gerade im B2B-Bereich sorgen diese Entwicklungen für latente Nervosität. Gerade sind die ersten, zaghaften Schritte in die digitale Kommunikationswelt gemacht, der noch frische Twitter-Kanal zeigt erste Erfolge und macht sogar Spaß – da ist schon wieder alles anders. Und der Wettbewerb arbeitet sicher schon an einem WhatsApp-Auftritt, müssen wir da nicht dringend mit? Statt hyperventilierend zu versuchen, allen Trends hinterherzulaufen, sollten die Verantwortlichen erst einmal durchatmen. Bevor Aufwand und Budget in den Aufbau von Kanälen fließt, müssen sie zunächst ganz andere Fragen für sich beantworten. Am Anfang steht eine sorgsame Analyse der eigenen Marke – wer sind wir, wofür stehen wir, wie positionieren wir uns überhaupt? Anschließend gilt es, das eigene Storytelling auf den Prüfstand zu stellen. Erzählen wir die richtige Geschichte, die die Marke optimal transportiert? Erzählen wir sie richtig, so dass wir die gewünschte Zielgruppe abholen? Und dann, aber wirklich erst dann steht die Überlegung an, welche Kanäle für die eigene Marke, die Story und die angepeilten Zielgruppen die richtigen sind.
Dabei kann sich herausstellen, dass das die Verantwortlichen dem Treiben um Snapchat erst einmal in aller Ruhe als Zaungast zusehen und den Unterhaltungswert der Debatte genießen können. Oder aber das Ergebnis ist, dass es wirklich gut wäre, sich zu engagieren und mit Elan eine Strategie für das neue Medium zu entwickeln, weil genau dort die Zielgruppe ist. Wie auch immer die Entscheidung ausfällt: Sind die Grundfragen ausreichend beantwortet, dann steht sie auf einer soliden Basis und passt zur Unternehmensstrategie. Dann lassen sich übrigens auch gestresste Anfragen aus dem Vorstand deutlich entspannter beantworten, wenn der netzaffine Filius dem CEO am Wochenende Snapchat vorgeführt hat.