Vor kurzem erschien ein interessanter Artikel zum Thema „China und die sozialen Netzwerke“ in „Der Welt“. Darin beschreibt Nina Trentmann, wie sich deutsche Unternehmen an das Internet-affine China anpassen müssen, um dort erfolgreich Geschäfte zu machen. Ein gut geschriebener Beitrag, in dem viele der Beobachtungen nicht nur auf China, sondern auch auf einen Großteil Asiens zutreffen, in dem Smartphones, Apps und soziale Netzwerke den Alltag bestimmen. Doch die Überschrift ist irreführend. Sie lautet: „Wer nicht twittert, hat verloren“. Dabei gibt es Twitter gar nicht im Reich der Mitte. Es gibt auch kein Facebook, LinkedIn, FlickR oder YouTube in Peking oder Shanghai. Suchmaschinen wie beispielsweise Google sind oft der Zensur unterworfen und die Webseiten der BBC und der NY Times werden regelmäßig geblockt, zum Beispiel wegen eines kritischen Berichtes über Premier Wen Jiabao. Abgesehen von dem Fauxpas der Überschrift ist der Artikel jedoch sehr zutreffend und verdeutlicht, wie wichtig die Teilnahme an lokalen sozialen Netzwerken ist. Dabei ist in China natürlich einiges anders als in Deutschland:
- Social Media-Dienste werden in China so intensiv wie in kaum einem anderen Land genutzt. China hat mit 538 Millionen Menschen weltweit die meisten Internetnutzer. Über die Hälfte sind auch mit einem eigenen Profil auf chinesischen Social Media-Plattformen vertreten.
- Die Vielfalt der Angebote ist deutlich größer als in der westlichen Welt. Konzentriert sich bei uns alles auf Facebook, Twitter und YouTube, gibt es in China über 25 verschiedene soziale Netzwerke, Microblogging-Plattformen und Videoportale:
- Die großen Facebook-Kopien sind Renren, QZone, PengYou und Kaixin001.
- Sina Weibo und Tencent Weibo sind die beliebtesten lokalen Alternativen zu Twitter.
- 56.com und youku sind nur zwei der zehn großen Videoportale in China.
- Viel genutzt sind auch Ushi, ein Business-Netzwerk ähnlich zu LinkedIn, sowie die Fotoplattform Yupoo.
- Neben sprachlichen Unterschieden spielt auch die Kultur eine große Rolle: Chinesen mögen es in sozialen Netzwerken ein bisschen spielerischer. Der Ton, die Zielgruppe, der Inhalt der Botschaften – all das unterscheidet sich von dem, was Firmen bei Facebook oder Twitter vorfinden und veröffentlichen. So schreibt Nina Trentman auch: „Besonders gut kommen in China Botschaften an, die Orientierung in der verwirrenden Konsumwelt bieten. Traditionelle Medien werden wegen der Zensur als nicht sonderlich vertrauenswürdig angesehen; die Skepsis gegenüber Lebensmittelproduzenten und anderen Herstellern ist nach einer Reihe von Skandalen unverändert groß.“
- Auch in China ist das Leben für Unternehmen im Social Web nicht immer einfach. Als das Getränk Minute Maid für den Tod eines Jungen verantwortlich zu sein schien, entbrannte eine heiße Diskussion auf Sina Weibo. Nur durch eine sehr schnelle Reaktion und eine umfassende Kooperation mit den chinesischen Behörden konnte Coca Cola größeren Schaden von der Marke abwenden und die Öffentlichkeit davon überzeugen, dass das Getränk nicht für den Tod des Jungen verantwortlich war.
- Häufig werden Ideen, Konzepte und auch das Design von westlichen sozialen Netzwerken kopiert. Ein Beispiel dafür sind der Check-in-Service Foursquare und sein chinesisches Gegenstück Maopao.
Für Unternehmen bietet China mit seinen kaufkräftigen und Internet-affinen Kunden hohes Potenzial. Allerdings sollte man sorgfältig prüfen, wie man kulturelle und sprachliche Barrieren überbrücken kann.